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Hochzeit in der Quantenwelt

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Moderne Quantentechnologien sollen in den kommenden Dekaden die Informationsverarbeitung, die Kommunikation und die Sensorik revolutionieren. Die Grundbausteine für künftige Quantenprozessoren sind zum Beispiel Atome, supraleitende quantenelektronische Schaltkreise, Spinkristalle in Diamanten und Photonen. In den vergangenen Jahren ist klar geworden, dass keiner dieser Quantenbausteine in der Lage ist, alle Anforderungen wie das Empfangen und Speichern von Quantensignalen, deren Verarbeitung und Übertragung zu erfüllen. Der Forschungsgruppe der Professoren József Fortágh, Reinhold Kleiner und Dieter Kölle vom Physikalischen Institut der Universität Tübingen ist es nun erstmals gelungen, magnetisch gespeicherte Atome auf einem Chip an einen supraleitenden Mikrowellen-Resonator zu koppeln. Die Verbindung dieser beiden Bausteine ist ein wesentlicher Schritt in der Konstruktion eines hybriden Quantensystems aus Atomen und Supraleitern, um die weitere Entwicklung von Quantenprozessoren und Quantennetzwerken zu ermöglichen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

 

Quantenzustände erlauben besonders effiziente Rechenalgorithmen, welche die klassischen Möglichkeiten weit übertreffen. Quanten-Kommunikationsprotokolle ermöglichen einen grundsätzlich abhörsicheren Datenaustausch. Quantensensoren liefern die präzisesten physikalischen Messdaten. „Um diese neuen Technologien in den Alltag umzusetzen, müssen wir grundlegend neue Hardwarekomponenten entwickeln“, sagt Fortágh. Statt der klassischen Signale unserer heutigen Technologie, den klassischen Bits, die nur den Wert null oder eins annehmen können, muss die neue Hardware viel komplexere Quantensignale, sogenannte verschränkte Quantenzustände, verarbeiten können.

 

„Erst durch die Kombination von unterschiedlichen Quantenbausteinen erlangt man die volle Funktionalität“, sagt Fortágh. So lassen sich mit supraleitenden Schaltkreisen schnelle Rechenoperationen durchführen, die Speicherung ist jedoch nur auf sehr kurzen Zeitskalen möglich. Neutrale Atome, die über einer Chipoberfläche schweben, sind auf der anderen Seite aufgrund ihrer geringen Wechselwirkungsstärke mit der Umgebung ideal als Quantenspeicher und Emitter für Photonen für die Signalübertragung. Daher haben die Forscher in ihrer neuen Studie zwei Komponenten zu einem Hybrid zusammengesetzt. Das hybride Quantensystem verbindet die kleinsten quantenelektronischen Bausteine der Natur, die Atome, mit künstlichen Schaltkreisen, den supraleitenden Mikrowellen-Resonatoren. „Wir nutzen die Funktionalität und Vorteile von beiden Komponenten“, sagt der Erstautor der Studie Dr. Helge Hattermann. „Die Kombination der beiden ungleichen Quantensysteme könnte die Realisierung eines Quantenprozessors mit supraleitenden Quantengattern, atomarem Quantenspeicher und photonischen Qubits ermöglichen.“ Qubits – das sind entsprechend zu den klassischen Bits die kleinsten Einheiten der Quantensignale.

 

Das neue Hybridsystem für künftige Quantenprozessoren und deren Vernetzung bildet eine Parallele zur heutigen, ebenfalls hybriden Technologie, wie ein Blick in die Hardware eines Computers offenbart: Rechenoperationen werden durch mikroelektronische Schaltungen durchgeführt, Informationen werden auf magnetischen Medien gespeichert und Daten werden durch faseroptische Leitungen über das Internet übertragen. „Ähnlich zeichnet sich für künftige Quantenrechner und deren Netzwerke ab, dass sie für die volle Funktionalität einen hybriden Ansatz und disziplinübergreifende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erfordern“, sagt Fortágh.

  

Publikation:

H. Hattermann, D. Bothner, L. Y. Ley, B. Ferdinand, D. Wiedmaier, L. Sárkány, R. Kleiner, D. Koelle, and J. Fortágh: Coupling ultracold atoms to a superconducting coplanar waveguide resonator. Nature Communications, DOI 10.1038/s41467-017-02439-7.

    
Kontakt:

Dr. Helge Hattermann
helge.hattermann[at]uni-tuebingen.de
Prof. Dr. József Fortágh
fortagh[at]uni-tuebingen.de
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Physikalisches Institut
CQ Center for Quantum Science
Telefon +49 7071 29-76270
http://www.physik.uni-tuebingen.de/fortagh

 

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

 

Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de

www.uni-tuebingen.de/aktuelles


Pflanzen zeigen Entscheidungsspielraum im Kampf um Licht

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Pflanzen sind in der Lage, auf unterschiedliche Konkurrenzsituationen mit verschiedenen Strategien zu reagieren. Biologinnen vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen konnten zeigen, dass die Reaktionen sich an Höhe und Wuchsdichte der Konkurrenz orientieren.
In der aktuellen Studie zeigen die Forscherinnen nun, dass sich Pflanzen zwischen verschiedenen Reaktionen auf Konkurrenz entscheiden können. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
 
Tiere, die im Wettbewerb stehen, wählen bekanntermaßen zwischen Verhaltensweisen wie Konfrontation, Vermeidung und Toleranz, je nachdem in welchem Verhältnis die Fähigkeiten ihrer Konkurrenten zu ihren eigenen stehen. Ist der Konkurrent beispielsweise größer oder stärker, bevorzugen Tiere üblicherweise Vermeidung oder Toleranz gegenüber einer Konfrontation.
 
Pflanzen erkennen die Anwesenheit von konkurrierenden Pflanzen beispielsweise an einer reduzierten Lichtmenge oder an den veränderten Anteilen von hellroten zu dunkelroten Wellenlängen, wenn Licht durch Blätter gefiltert wird. Sie reagieren darauf entweder mit Konfrontation, indem sie über ihre Konkurrenten hinauswachsen und diese beschatten oder mit Toleranz, welche erlaubt auch im Schatten zu gedeihen. Manche Pflanzen, vor allem solche, die sich klonal über Ausläufer fortpflanzen können,  zeigen eine weitere Reaktion, indem sie seitlich aus dem Umfeld der Nachbarn herauswachsen und somit Konkurrenz vermeiden. „Diese drei Alternativen in Konkurrenz um Licht sind in der Literatur bestens beschrieben“, sagt Erstautorin Michal Gruntman. „Wir haben nun untersucht, ob Pflanzen zwischen diesen Reaktionsmöglichkeiten wählen und damit passend auf Größe und Dichte der Konkurrenz reagieren können.“
 
In ihrem Experiment simulierten die Wissenschaftlerinnen für die klonale Pflanze Kriechendes Fingerkraut  (Potentilla reptans) verschiedene Szenarien eines Wettbewerbs um Licht. Sie verwendeten Hochkantstreifen als transparente Grünfilter, die sowohl Lichtmenge als auch das Verhältnis von hellroten zu dunkelroten Wellenlängen veränderten und somit Konkurrenz mit Nachbarn um Licht realistisch simulierten. Für verschiedene Szenarien variierten sie die Höhe und Dichte der vermeintlichen konkurrierenden Vegetation.
 
Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Fingerkraut in der Tat zwischen optimal anpassten Reaktionen entscheiden konnte. Es investierte ins Längenwachstum, wenn die Simulation kurz- und dichtwachsende Nachbarspflanzen vorgab ‒ also Konkurrenten, die sich nicht seitwärts umgehen ließen, aber klein genug waren, um in der Höhe überwachsen zu werden. Wurden hoch- wie auch dichtwachsende Nachbarspflanzen simuliert, bei denen weder Flucht noch Konfrontation möglich war, entwickelten die Testpflanzen die höchste Schattentoleranz. Bei hohen aber licht wachsenden Nachbarpflanzen war die häufigste Reaktion ein seitwärts gerichtetes Wachstum mit Hilfe von Ausläufern.
 
Die Studienergebnisse zeigten, dass Pflanzen die Dichte und die Wettbewerbsfähigkeiten ihrer Nachbarpflanzen einschätzen und ihre Reaktionen anpassen könnten, sagt Gruntman. Die Fähigkeit, je nach Ergebnis zwischen verschiedenen Reaktionen zu wählen, könnte vor allem in einem heterogenen Umfeld wichtig sein: Hier wachsen Pflanzen möglicherweise neben Nachbarn, die sich in Größe, Alter oder Dichte unterscheiden, und sollten deshalb in der Lage sein, die angemessene Strategie zu wählen. Die Studie untermauere die Fähigkeit von Pflanzen, komplexe Informationen über ihre Umgebung zu integrieren und darauf optimal zu reagieren.
  
    

Potentilla reptans (Kriechendes Fingerkraut) in
Simulation mit Nachbarn mit geringer Dichte.
Foto: Udi Segev
 

Publikation:

Michal Gruntman, Dorothee Groß, Maria Májeková and Katja Tielbörger. Decision-making in plants under competition. Nature Communications 2017, DOI: 10.1038/s41467-017-02147-2

Kontakt:

Dr. Michal Gruntman
Universität Tübingen
Institut für Evolution und Ökologie
Telefon  +49 7071 29-73224
michal.gruntman[at]bot.uni-tuebingen.de

 

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

 

Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de
www.uni-tuebingen.de/aktuelles

Tübinger Informatiker entwickeln neue Form der künstlichen Intelligenz

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Informatiker der Universität Tübingen haben ein Computerprogramm entwickelt, das eine neue Form der künstlichen Intelligenz darstellt: Das Programm „Brain Control“ simuliert sowohl eine 2D-Welt als auch darin eigenständig handelnde, kooperierende und lernende, virtuelle Figuren – oder Agenten. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Forschungswerkzeug, sondern auch um eine neue Art von Computerspiel: Man kommuniziert mit den Figuren in menschlicher Sprache, beispielsweise indem man Dinge erklärt, Anweisungen gibt oder sie dazu motiviert, Situationen selbst zu erkunden. Die Simulation zielt darauf ab, moderne Theorien der Kognitionswissenschaft in ein Modell zu überführen und neue Varianten künstlicher Intelligenz zu erforschen. Professor Martin Butz und sein Team vom Lehrstuhl für Kognitive Modellierung ließen das Programm über mehrere Semester in Programmierpraktika wachsen und haben es nun veröffentlicht.

 

Klassische künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt sich eher damit, eine Aufgabe logisch zu analysieren und zu planen. Damit lassen sich Systeme bauen, die immer dann gut funktionieren, wenn das Problem präzise in eine abstrakt-mathematische Form übertragen werden kann. Auf der anderen Seite stehen künstliche neuronale Netze, die derzeit im Fokus der Forschung stehen und in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt haben.

 

Brain Control verzichtet bisher auf den Einsatz solcher neuronaler Netze, folgt aber auch nicht dem klassischen KI-Paradigma. Vielmehr bettet das Programm die Figuren stärker in ihre Umwelt ein und grundiert den Handlungsrahmen dadurch: Innerhalb ihrer Welt haben die Spielfiguren unterschiedliche Motivationen, z.B. mehr Energie zu bekommen oder ihre Welt zu erkunden. Ausgehend von diesen Motivationen lernen sie durch Interaktionen, wie ihre Umwelt funktioniert und wie sie diese beeinflussen können. Dabei legen die Forscher großen Wert darauf, die Figuren selbstständig agieren zu lassen, sodass nach und nach immer weniger vorgegeben werden muss und immer mehr selbst erlernt bzw. gelöst wird. Der Einsatz neuronaler Netze ist mittelfristig auch geplant, allerdings eher als Teilsysteme.

 

Die theoretische Kernidee hinter dem Programm entstammt einer kognitionspsychologischen Theorie, nach der kognitive Prozesse im Wesentlichen prädiktiv agieren und auf sogenannten „Events“ basiert sind. Solche „Events“, beispielsweise eine bestimmte Bewegung wie das Greifen nach einem Stift, und die Verkettung von Events, wie das Zusammenpacken, wenn man Feierabend hat, bilden demnach den Grundstock der Kognition, mittels dem zielorientiert Interaktionen und Interaktionsketten mit der Welt ausgewählt und kontrolliert werden. Diese Hypothese wird von Brain Control gespiegelt: Die Figuren planen und entscheiden, indem sie Events und ihre Verkettung simulieren und damit relativ komplexe Handlungsfolgen ausführen können. So können die virtuellen Figuren sogar kooperativ handeln. Zuerst bringt eine Figur eine andere auf eine Plattform, damit diese dort den Weg freimachen kann, woraufhin beide vorankommen.

 

Die Modellierung kognitiver Systeme wie in Brain Control ist noch immer ein ambitioniertes Vorhaben und soll zu besserer künstlicher Intelligenz führen. Im Falle von Brain Control soll es noch den Spaß am Spiel dazu geben: Die Spielfiguren schaffen es nicht alleine, die unterschiedlichen Level zu meistern, sondern brauchen Anleitung, Motivation und Inspirationen, die ihnen der menschliche Spieler sprachlich vermitteln muss.

 

Das Programm kann man unter https://github.com/CognitiveModeling/BrainControl herunterladen und ausprobieren. Einen Trailer gibt es unter https://youtu.be/63gcQg_bQjw zu sehen.

  
Publikationen:

Butz, M. V. (2016). Towards a unified sub-symbolic computational theory of cognition. Frontiers in Psychology, 7(925). doi:10.3389/fpsyg.2016.00925 

    
Butz, M. V. (2017). Which structures are out there? Learning predictive compositional concepts based on social sensorimotor explorations. In T. K. Metzinger & W. Wiese (Eds.), Philosophy and Predictive Processing. Frankfurt am Main: MIND Group. doi:10.15502/9783958573093

 

Butz, M. V. und Kutter, E. F. (2017). How the Mind Comes into Being: Introducing Cognitive Science from a Functional and Computational Perspective. Oxford, UK: Oxford University Press.

 

Schrodt, F., Kneissler, J., Ehrenfeld, S. und Butz, M. V. (2017). Mario becomes cognitive. Topics in Cognitive Science, 9, 343–373. doi:10.1111/tops.12252

 

Schrodt, F., Röhm, Y., und Butz, M. V. (2017). An event-schematic, cooperative, cognitive architecture plays Super Mario. Cognitive Robot Architectures 10, 10-15.

 

Butz, M. V., Simonic, M., Binz, M., Einig, J., Ehrenfeld, S., & Schrodt, F. (2016). Is it living? Insights from modeling event-oriented, self-motivated, acting, learning and conversing game agents. In A. Papafragou, D. Grodner, D. Mirman, & J. C. Trueswell (Eds.), Proceedings of the 38th Annual Meeting of the Cognitive Science Society (p. 3062). Austin, TX: Cognitive Science Society.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Martin V. Butz
Universität Tübingen
Informatik & Psychologie, Kognitive Modellierung
Sand 14, 72076 Tübingen
Telefon +49 7071 29 70429
martin.butz[at]uni-tuebingen.de
 

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

 

Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de
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Immunantwort auf Bakterien: wie sich friedliche Mitbewohner und Eindringlinge unterscheiden

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In der Bakteriengattung der Staphylokokken gibt es Vertreter, welche die Haut und Schleimhaut des Menschen zu wechselseitigem Nutzen als friedliche Mitbewohner besiedeln, aber auch solche, die fern des Menschen zum Beispiel in Boden und Wasser vorkommen. Beim Kontakt mit Bakterien ist die Aktivierung des angeborenen Immunsystems der erste Schritt zur Abwehr einer bevorstehenden Infektion. Wie nun das Immunsystem zwischen potenziellen Krankheitserregern und friedlichen Mitbewohnern unterscheidet, hat eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung von Professor Friedrich Götz vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen untersucht. Als Unterscheidungsmerkmal konnten sie die unterschiedliche Struktur von Lipoproteinen dingfest machen, die in der Membran von Bakterien verankert sind. Kurz oder lang – die Länge der Fettsäure am Molekül der Lipoproteine entscheidet über die Stärke der Immunantwort. Die neuen Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

 

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten als Beispiel für Staphylokokken, die in Wechselwirkung und zum beiderseitigen Nutzen die menschliche Haut besiedeln, sogenannte Kommensalen des Menschen, die Art Staphylococcus aureus. Als nicht-kommensale Art wählten sie Staphylococcus carnosus aus; diese Art wird häufig bei der Produktion von Wurst und Fleischprodukten eingesetzt. Das menschliche Immunsystem erkennt über einen bestimmten Rezeptor die Lipoproteine der Staphylokokken, die nur in Mikroorganismen vorkommen, nicht aber im menschlichen Wirt. Auf die fremden Eindringlinge kann es entsprechend reagieren. „Wir fanden heraus, dass die Antwort des Immunsystems bei Staphylococcus aureus viel niedriger ausfiel als bei Staphylococcus carnosus“, berichtet Götz. Als hauptsächlicher Grund ließen sich Unterschiede in der Struktur des Lipidanteils der Lipoproteinen ausmachen: Bei S. aureus war das Protein durch die langkettige Heptadecanoylfettsäure modifiziert, während S. carnosus an entsprechender Stelle nur eine kurze Acetylgruppe trug. „Der Strukturunterschied ist vergleichsweise gering, hatte jedoch einen enormen Einfluss auf die Immunantwort“, sagt der Mikrobiologe. Die Lipoproteine mit der langen Kette von S. aureus bewirkten eine deutliche Verringerung der Immunantwort, sowohl beim angeborenen als auch beim erworbenen Immunsystem, während die kurzkettigen Lipoproteine von S. carnosus eine fast zehnfache Steigerung der Immunantwort auslösten.

 

„Wir fanden dadurch unsere These bestätigt, dass krankheitserregende, aber auch kommensale Bakterien in einem Wirtsorganismus nur überleben können, wenn sie es schaffen, dem Immunsystem zu entkommen oder auszuweichen“, sagt Götz. Entweder müssten die Bakterien das Immunsystem ruhigstellen oder ihm entgegenwirken. „Der Mechanismus, dem Immunsystem über den Einbau langkettiger Fettsäuren in den Lipidanker der Lipoproteine zu entgehen, wie wir es bei der kommensalen Art S. aureus entdeckt haben, war bisher nicht bekannt.“

 

Neben den Kommensalen gibt es auch krankheitserregende Formen von S. aureus, die teilweise lebensgefährliche Entzündungen verursachen können. „Grundsätzlich bleibt daher das alte Rätsel offen, warum es keine wirklich schützende Immunantwort gegen S. aureus gibt, die eine Infektion verhindert“, sagt der Wissenschaftler. Er will im nächsten Schritt untersuchen, welche Enzyme und Gene in den Einbau der Fettsäuren an den Lipoproteinen von S. aureus involviert sind.

Publikation:

Nguyen, M.T., J. Uebele, N. Kumari, H. Nakayama, L. Peter, O. Ticha, A.K. Woischnig, M. Schmaler, N. Khanna, N. Dohmae, B.L. Lee, I. Bekeredjian-Ding & F. Götz, (2017): Lipid moieties on lipoproteins of commensal and non-commensal staphylococci induce differential immune responses. Nature Communications, 8: 2246. DOI: 10.1038/s41467-017-02234-4.

Kontakt:

Prof. Dr. Friedrich Götz
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin – Mikrobielle Genetik
Telefon +49 7071 29-74128
friedrich.goetz[at]uni-tuebingen.de

 

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
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janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de
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Mögliche Ursache für mexikanische Epidemie aus der Kolonialzeit identifiziert

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Das Bakterium Salmonella enterica, welches enterisches Fieber auslöst, könnte die lang debattierte Ursache der „Cocoliztli“-Epidemie sein, die von 1545 bis 1550 in Mexiko wütete und schwerwiegende Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung Mesoamerikas hatte.

 

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Universität Harvard und des Nationalen Instituts für Anthropologie und Geschichte Mexikos sowie unter Beteiligung der Universität Tübingen hat eine neuartige Software zur Datenanalyse verwendet, mithilfe derer aus alter DNA die möglichen Erreger einer der zahlreichen Epidemien im kolonialen Amerika identifiziert werden konnten. Viele Epidemien breiteten sich im 16. Jahrhundert großflächig in der „Neuen Welt“ aus. Zwar wurden die Symptome dieser Krankheiten in zeitgenössischen Berichten gut beschrieben, aber die genauen biologischen Ursachen der kolonialen Epidemien sind anhand dieser historischen Überlieferungen nur schwer zu bestimmen. In der nun vorgelegten Studie, die in Nature Ecology and Evolution veröffentlicht wurde, gelang es dem Team durch neue Methoden zur Analyse alter DNA, Salmonella enterica Paratyphi C, ein Bakterium, das enterisches Fieber verursacht, in den Skeletten von Opfern der „Cocoliztli“-Epidemie von 1545-1550 in Mexiko zu identifizieren.

 

Nachdem die einheimischen Bevölkerungsgruppen der amerikanischen Kontinente mit Europäern in Kontakt gekommen waren, fegten Dutzende von Epidemien mit verheerenden Auswirkungen durch die „Neue Welt“. Obwohl viele Berichte aus erster Hand über diese Epidemien vorliegen, war es bislang in den meisten Fällen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, ihre Ursachen anhand der historischen Beschreibungen der Symptome eindeutig zu bestimmen. So können zum Beispiel die Symptome, die durch die Infektion mit verschiedenen Bakterien oder Viren verursacht werden, einander sehr ähnlich sein oder die Symptome, die durch bestimmte Krankheiten hervorgerufen werden, können sich in den letzten 500 Jahren verändert haben. Deshalb haben Wissenschaftler gehofft, dass Fortschritte bei der Analyse alter DNA einen Durchbruch bei der Identifizierung der unbekannten Ursachen früherer Epidemien ermöglichen könnten.

Erster direkter Hinweis auf eine mögliche Ursache der Cocoliztli-Epidemie 1545-1550

Die Cocoliztli-Epidemie, deren Ursache bislang nicht identifiziert werden konnte, gehört zu den verheerendsten Epidemien auf den amerikanischen Kontinenten während der Kolonialzeit. Schon Alexander von Humboldt hatte vor mehr als 200 Jahren über die Ursache dieser Seuche spekuliert. Sie grassierte in großen Teilen Guatemalas und Mexikos, einschließlich der mixtekischen Stadt Teposcolula-Yucundaa in Oaxaca, Mexiko. Dort wurde bei archäologischen Grabungen der einzige Seuchenfriedhof freigelegt, der bislang mit dem Ausbruch dieser Epidemie in Verbindung gebracht wird. „Angesichts des historischen und archäologischen Kontextes von Teposcolula-Yucundaa bot sich uns die einzigartige Gelegenheit, die Frage nach den mikrobiellen Ursachen dieser Epidemie zu beantworten", erklärt Åshild J. Vågene vom MPI für Menschheitsgeschichte, Erstautorin der Studie. Nach der Epidemie war die Stadt aufgegeben und von der Spitze eines Berges in das benachbarte Tal verlegt worden, sodass der Friedhof bis zu den archäologischen Grabungen im Wesentlichen unberührt geblieben war. Diese Umstände machten Teposcolula-Yucundaa zu einem idealen Ort, um bei der Suche nach den Ursachen der Epidemie eine völlig neue Herangehensweise zu testen.

 

Das Forschungsteam analysierte DNA von 29 menschlichen Überresten aus der Fundstelle und verwendete dabei ein neuartiges, hocheffizientes Computerprogramm für die Charakterisierung der in den Proben enthaltenen bakteriellen DNA. Diese Technik ermöglichte es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Proben vollständig auf bakterielle DNA zu untersuchen, ohne vorher genauer spezifizieren zu müssen, wonach gesucht werden sollte. Für zehn Proben erbrachte diese Methode vielversprechende Hinweise auf DNA-Spuren des Bakteriums Salmonella enterica.

 

Nach diesem ersten Befund kam eine speziell für diese Studie entwickelte DNA-Anreicherungsmethode zum Einsatz. Mit ihr gelang es dem Forschungsteam, komplette Salmonella enterica-Genome zu entschlüsseln und zu zeigen, dass die zehn Individuen mit einer Unterart des Bakteriums Salmonella enterica infiziert waren, das enterisches Fieber verursacht. Dies ist das erste Mal, dass Wissenschaftler durch die Analyse alten Materials aus der Neuen Welt molekulare Beweise für eine mikrobielle Infektion mit diesem Bakterium gefunden haben. Bakterielles enterisches Fieber, dessen bekannteste Form heute Typhus darstellt, verursacht hohes Fieber, Dehydratation und schwere Magen-Darm-Infektionen. Heute gilt die Krankheit als weltweite Bedrohung. Allein im Jahr 2000 traten schätzungsweise 27 Millionen Krankheitsfälle auf. Über die Schwere der Krankheit in der Vergangenheit und ihre globale Verbreitung ist allerdings bis heute wenig bekannt.

Ein neues Werkzeug zur Identifizierung vergangener Krankheiten

„In der Vergangenheit haben wir in der Regel einen bestimmten Erreger oder eine kleine Gruppe von Krankheitserregern ins Visier genommen, für die es zuvor eine Indikation gab. Deshalb ist es ein wichtiger Beitrag dieser Studie, dass es uns gelungen ist, Informationen über eine in dieser Population zirkulierende mikrobielle Infektion zu gewinnen, ohne dass wir vorher genauer spezifizieren mussten, wonach wir suchten“, erklärt Alexander Herbig, Forschungsgruppenleiter am MPI für Menschheitsgeschichte und ebenfalls Erstautor der Studie.

 

„Dieser neue Ansatz erlaubt es uns, Skelette in breit angelegten Untersuchungen auf alle Erreger hin zu untersuchen, die möglicherweise in ihnen vorhanden waren“, ergänzt Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am MPI für Menschheitsgeschichte und Professor an der Universität Tübingen, der Leiter der Studie. Und Kirsten Bos, Forschungsgruppenleiterin am MPI für Menschheitsgeschichte, fügt hinzu: „Dies ist ein entscheidender Fortschritt in den Methoden, die uns zur Erforschung vergangener Krankheiten zur Verfügung stehen. Wir können nun die Anwesenheit zahlreicher infektiöser Organismen in archäologischem Material überprüfen. Das ist besonders relevant für Fälle, in denen die Ursache einer Krankheit zuvor nicht bekannt war.“

Veröffentlichung

Åshild J. Vågene, Alexander Herbig, Michael G. Campana, Nelly M. Robles García, Christina Warinner, Susanna Sabin, Maria A. Spyrou, Aida Andrades Valtueña, Daniel Huson, Noreen Tuross, Kirsten I. Bos and Johannes Krause: Salmonella enterica genomes from victims of a major 16th century epidemic in Mexico, Nature Ecology and Evolution, DOI: 10.1038/s41559-017-0446-6

Medienkontakte

Åshild J. Vågene
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: vagene[at]shh.mpg.de

 

Alexander Herbig
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: herbig[at]shh.mpg.de

 

Kirsten I. Bos
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
E-Mail: bos[at]shh.mpg.de

 

Prof. Dr. Johannes Krause
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Universität Tübingen
E-Mail: krause[at]shh.mpg.de

Bildmaterial


Übersichtskarte von Teposcolula-Yucundaa. Die Karte zeigt die Lage der Siedlung in der Mixteken-Region von Oaxaca, Mexico (A), und die Lage der Ausgrabungsstätte (B). Teilbild C ist eine zeichnerische Darstellung des Individuums Nr. 35, aus dessen Probe ein S. enterica-Genom rekonstruiert werden konnte.


Bildnachweis: Åshild J. Vågene et al. Salmonella enterica genomes from victims of a major 16th century epidemic in Mexico. Nature Ecology and Evolution.

Freigelegte Mauerreste am nördlichen Rand der Grand Plaza bei Teposcolula-Yucundaa. Architektonische Untersuchungen des Grand Plaza führten zu der unerwarteten Entdeckung eines großen Epidemiefriedhofs, der mit der Cocoliztli-Epidemie von 1545-1550 in Zusammenhang steht. Der Friedhof enthielt zahlreiche Massengräber, die das katastrophale Ausmaß der Epidemie belegen.


Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

Massengrab auf der Teposcolula-Yucundaa Grand Plaza vor dem Beginn der Ausgrabung. Es enthielt die Überreste von drei Individuen, die alle drei positiv auf S. enterica getestet wurden. Ein zweites Grab (am oberen Bildrand rechts) enthielt zwei weitere Individuen, die positiv auf S. enterica getestet wurden. Die Massengräber in der Grand Plaza lagen dicht beieinander und waren grob in den Putzboden eingeschnitten. Der Boden wurde nie repariert, was auf die Eile hinweist, mit der der Standort kurz nach der Epidemie aufgegeben wurde.


Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

Archäologische Ausgrabungen an der Grabungsstätte Teposcolula-Yucundaa, einem wichtigen politischen Zentrum der alten Mixteken. Nach der Epidemie wurde die Siedlung ins Tal verlegt und der Standort auf der Spitze des Berges wurde aufgegeben.

Bildnachweis: Christina Warinner; mit freundlicher Genehmigung des archäologischen Projektes „Teposcolula-Yucundaa“

 

Bisher älteste bekannte Sauerstoffoase entdeckt

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In der frühen Erdgeschichte, vor mehreren Milliarden Jahren, war Sauerstoff höchstens in Spuren in der Atmosphäre und in den Ozeanen vorhanden. Heutige luftatmende Lebewesen hätten unter solchen Bedingungen nicht existieren können. Den Umschwung bewirkten Fotosynthese betreibende Bakterien, die Sauerstoff als Abfallprodukt hinterließen – und das in gigantischen Mengen. Hinweise auf die erste globale Zunahme des Sauerstoffanteils in der Atmosphäre liefern 2,5 Milliarden Jahre alte Ablagerungen verschiedener Kontinente. Nun haben Dr. Benjamin Eickmann und Professor Ronny Schönberg von der Isotopengeochemie der Universität Tübingen gemeinsam mit internationalen Kollegen im südafrikanischen Pongolabecken Ablagerungen entdeckt, die von Sauerstoffausstoß durch Bakterien bereits vor 2,97 Milliarden Jahren zeugen. Das Becken ist die bisher älteste nachgewiesene Stätte mit von Lebewesen produziertem Sauerstoff – eine sogenannte Sauerstoffoase. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.

 

Aus heutiger Sicht würde man die Verhältnisse auf der Erde vor rund drei Milliarden Jahren als unwirtlich bezeichnen. In den Gasen der Atmosphäre gab es ungefähr 100.000-mal weniger Sauerstoff als heute. Die frühen Ozeane enthielten kaum Sulfat, dafür aber große Mengen an zweiwertigem Eisen. Als Bakterien mit der Sauerstoffproduktion begannen, konnte der Sauerstoff zunächst noch gebunden werden, reicherte sich dann aber in der Atmosphäre in einem Ereignis des massenhaften Sauerstoffausstoßes vor 2,5 Milliarden Jahren doch an. „Das lässt sich durch das Verschwinden reduzierter Minerale in den Sedimenten der Kontinente belegen. Auch bestimmte Schwefelsignaturen, die nur in der sauerstoffarmen Atmosphäre gebildet werden konnten, sind nicht mehr zu finden“, erklärt Benjamin Eickmann, der Erstautor der Studie. Dieses Ereignis, welches sich als globale Umweltverschmutzung beschreiben lässt, ging als „Große Sauerstoffkatastrophe“ in die Erdgeschichte ein. Katastrophal deshalb, weil Sauerstoff für frühe Bakterienarten, welche sich unter sauerstoffarmen Bedingungen entwickelt hatten, giftig war. „Allerdings enthielt die Atmosphäre nach diesem ersten Anstieg auch nur 0,2 Prozent Sauerstoff, heute sind es rund 21 Prozent“, sagt Eickmann. In der Atmosphäre, die immer mehr Sauerstoff enthielt, verwitterten die Kontinente zunehmend. Dadurch stieg der Eintrag von Spurenelementen in die Ozeane. Das verbesserte Nährstoffangebot führte zu einer Ausbreitung der Lebensformen in den Meeren.

Schwefelsignaturen als erdgeschichtliches Archiv

In ihrer aktuellen Studie untersuchte das Forscherteam die 2,97 Milliarden Jahre alten Ablagerungen des Pongolabeckens im heutigen Südafrika. Aus dem Verhältnis von Schwefelatomen unterschiedlicher Masse, den sogenannten Schwefelisotopen (insbesondere das 34S/32S-Verhältnis), in den Ablagerungen können die Forscher schließen, dass dort Bakterien das im Meerwasser vorhandene Sulfat als Energiequelle nutzten und dabei reduzierten. „Sulfat ist eine Form oxidierten Schwefels. Eine erhöhte Sulfatkonzentration im Meerwasser setzt ausreichend freien Sauerstoff voraus, den es dort im flachen Meerwasser des Pongolabeckens gegeben haben muss“, erklärt Ronny Schönberg. Dieser freie Sauerstoff müsse von anderen, Fotosynthese treibenden Bakterien produziert worden sein. Gleichzeitig weise eine weitere Schwefelisotopensignatur (das 33S/32S-Verhältnis) dieser Sedimente auf eine nach wie vor reduzierte, sehr sauerstoffarme Atmosphäre hin. „Zumindest bisher ist das Pongolabecken somit die älteste bekannte Sauerstoffoase. Dort reicherte sich der Sauerstoff im Wasser schon lange vor der Großen Sauerstoffkatastrophe an“, sagt Schönberg zusammenfassend. Einige hundert Millionen Jahre später führte die stetig steigende Anreicherung des Sauerstoffs zur Oxidation der Atmosphäre – was die Arten und die Vielfalt des Lebens in seiner heutigen Form erst möglich gemacht hat.

Publikation:

Benjamin Eickmann, Axel Hofmann, Martin Wille, Thi Hao Bui, Boswell A. Wing and Ronny Schoenberg: Isotopic evidence for oxygenated Mesoarchaean shallow oceans. Nature Geoscience, DOI 10.1038/s41561-017-0036-x

Kontakt:

Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Geowissenschaften – Isotopengeochemie

 

Prof. Dr. Ronny Schönberg
schoenberg[at]ifg.uni-tuebingen.de
Telefon +49 7071 29-78903

 

Dr. Benjamin Eickmann
benjamin.eickmann[at]uni-tuebingen.de
Telefon +49 7071 29-73156

 

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
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Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
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janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de
http://www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen

Begabtenförderung bereits im Grundschulalter erfolgreich

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Laut Kultusministerkonferenz besteht in Deutschland die Notwendigkeit, die Förderung von leistungsstarken und potenziell leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern zu verbessern. Wie dies bereits in der Grundschule gelingen kann, wurde nun von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main, in mehreren Studien untersucht. Sie fanden heraus, dass die Kinder nach dem Besuch eines Förderprogramms ihre ohnehin schon guten Noten in Deutsch und Mathematik nochmal verbessern konnten und, dass sie durch den Besuch eines speziellen Kurses ein ungewöhnlich reifes Wissenschaftsverständnis entwickelten. Auch konnten sie nach dem Besuch eines Präsentationstrainings naturwissenschaftliche Inhalte besonders gut kommunizieren. Die Ergebnisse wurden jetzt in den Zeitschriften Learning and Instruction, Contemporary Educational Psychology und Journal of Research on Educational Effectiveness veröffentlicht.

 

Es gibt in Deutschland verschiedene Fördermöglichkeiten für begabte und hochbegabte Kinder und Jugendliche. Sie können beispielsweise früher eingeschult werden, Klassen überspringen oder sich in so genannten Enrichment-Programmen, die zusätzlich zum schulischen Lehrstoff angeboten werden, mit neuen Themen beschäftigen. Allerdings sind bislang nur wenige dieser Programme auf ihre Wirksamkeit hin untersucht worden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben deshalb ein Förderprogramm für begabte und hochbegabte Grundschulkinder untersucht und ausgewertet. Sie wollten wissen, ob sich die Kurse positiv auf die Kinder auswirken und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

 

Die Studien wurden an den Hector-Kinderakademien durchgeführt, die an 65 Standorten in Baden-Württemberg Kurse für begabte und hochbegabte Grundschulkinder zusätzlich zum regulären Schulunterricht anbieten. Die Kurse legen einen Schwerpunkt auf die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, es gibt jedoch auch musische oder sprachliche Angebote. Da das Angebot zum Ziel hat, Kinder ganzheitlich zu fördern, wurde auch untersucht, ob sich das Programm auf die kognitiven Fähigkeiten, schulische Leistung, wissenschaftliche Neugier, Kreativität, Selbstkontrolle oder soziale Kompetenzen der Kinder auswirkte.

 

Rund 2.700 Schülerinnen und Schüler nahmen dafür vor und nach dem Besuch der Kurse an einem Intelligenztest teil und füllten Fragebögen aus. Außerdem wurden ihre Schulnoten in Deutsch und Mathematik vor und nach den Kursen verglichen. Hier zeigte sich der größte Effekt: Die Kinder konnten ihre ohnehin schon guten Noten in Deutsch und Mathematik noch verbessern. „Das kann ein Effekt der intellektuellen oder motivationalen Stimulation sein, aber auch damit zusammenhängen, dass Eltern ihre Kinder mehr fördern, wenn sie wissen, dass diese an einem Programm für begabte Kinder teilnehmen“, erklärt Jessika Golle, die Erstautorin dieser Studie. „Zudem ist möglich, dass sich die Wahrnehmung der Lehrerinnen und Lehrer verändert, wenn sie wissen, dass die Kinder besonders begabt sind.“

 

Da in dieser Studie nur Aussagen über das Gesamtprogramm, nicht jedoch über einzelne Fördermaßnahmen getroffen werden konnten, wurde in zwei experimentellen Studien mit 117 bzw. 65 Kindern auch die Wirkung einzelner Kurse untersucht, die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst entwickelt wurden. Mit dem Kurs „Kleine Forscher – Wir arbeiten wie Wissenschaftler“ soll beispielsweise das naturwissenschaftliche Verständnis der Kinder gefördert werden. Diese schlüpfen dabei in die Rolle von Forschenden und lernen anhand kleiner Experimente, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, etwa wie Hypothesen formuliert und geprüft oder Ergebnisse interpretiert und hinterfragt werden. Es zeigte sich, dass sich bei den Kindern, die an dem Kurs teilgenommen hatten, das Wissenschaftsverständnis substantiell weiterentwickelte. „Zudem waren sie wissbegieriger und hatten mehr Freude am Denken“, sagt Julia Schiefer, die den Kurs entwickelte und die Studie durchführte. Sie empfiehlt deshalb, dieses Verständnis vor allem bei Kindern mit hohen intellektuellen Fähigkeiten bereits in der Grundschule zu fördern.

 

Ein weiterer Kurs hatte zum Ziel, die Präsentationskompetenzen von Kindern der dritten und vierten Klasse zu erhöhen. Über die ganze Lebensspanne hinweg wird das Präsentieren immer bedeutender und für begabte Kinder ist es besonders wichtig, dass sie den richtigen Ton treffen, wenn sie über Themen informieren, in denen sie sehr versiert sind. In dem Präsentationstraining lernten sie, wie sie mit Lampenfieber umgehen können, wie sie durch nonverbale Kommunikation auf ihr Publikum wirken und wie man eine Rede verständlich und der Situation angemessen aufbereitet. Dazu suchten sie sich ein Thema aus dem Bereich der Naturwissenschaft aus, für das sie sich besonders interessierten. Die Kinder, die an dem Training teilnahmen, hatten sich sowohl in ihrer Körperhaltung, Mimik, Gestik und im Blickkontakt verbessert, als auch in ihrer Fähigkeit, flüssig zu sprechen und den Aufbau ihrer Rede zu organisieren. Evelin Herbein, die Erstautorin der Studie, plädiert daher dafür, mit dem Präsentationstraining bereits im Grundschulalter zu beginnen. „Aufbauend auf unsere Kursmaterialien könnte man überlegen, wie man das Training in den Unterricht übertragen kann“, so Herbein. UIrich Trautwein, Direktor des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen, resümiert die Studien: „Die Ergebnisse geben Anlass zur Hoffnung. Begabtenförderung für Grundschulkinder kann funktionieren, aber es bedarf klar definierter Programme, gut ausgebildeter Kursleiterinnen und -leiter und einer weiterhin systematischen Überprüfung der Effekte.“

Originalpublikationen:

  • Golle, J., Zettler, I., Rose, N., Trautwein, U., Hasselhorn, M., & Nagengast, B. (2017). Effectiveness of a “grass roots” statewide enrichment program for gifted elementary school children. Journal of Research on Educational Effectiveness. doi:10.1080/19345747.2017.1402396
  • Herbein, E., Golle, J., Tibus, M., Schiefer, J., Trautwein, U., & Zettler, I. (2017). Fostering elementary school children's public speaking skills: A randomized controlled trial. Learning and Instruction. doi:10.1016/j.learninstruc.2017.10.008
  • Schiefer, J., Golle, J., Tibus, M., Trautwein, U., & Oschatz, K. (2017). Elementary school children’s understanding of science: The implementation of an extracurricular science intervention. Contemporary Educational Psychology, 51, 447-463. doi:10.1016/j.cedpsych.2017.09.011

Über die Hector-Kinderakademien:

Die Hector-Kinderakademien bieten an 65 Standorten in Baden-Württemberg Kurse für begabte und hochbegabte Grundschulkinder zusätzlich zum regulären Schulunterricht an. Das Angebot geht weit über den normalen Unterrichtsstoff hinaus und deckt ein breites und vielfältiges Spektrum an Themen mit Schwerpunkt auf den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ab. Rund 24.000 Kinder haben im Schuljahr 2016/17 die Kurse besucht. Das Angebot wird von der Hector Stiftung II finanziert, vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg getragen und vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen sowie dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) wissenschaftlich begleitet.

Kontakt:

Universität Tübingen, Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung:

  • Prof. Dr. Jessika Golle, Telefon +49 7071 29-76124, jessika.golle[at]uni-tuebingen.de
  • Dr. Evelin Herbein, Telefon +49 7071 29-73906, evelin.herbein[at]uni-tuebingen.de
  • Dr. Julia Schiefer, Telefon +49 7071 29-73949, julia.schiefer[at]uni-tuebingen.de
  • Prof. Dr. Ulrich Trautwein, Telefon +49 7071 29-73931, ulrich.trautwein[at]uni-tuebingen.de

Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF):

  • Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, +49 69 24708-214, hasselhorn[at]dipf.de

 

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Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Antje Karbe
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Telefon +49 7071 29-76789
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Vielversprechender Malaria-Wirkstoff erprobt

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Ein internationales Forschungsteam hat in einer klinischen Studie Phase II erfolgreich ein neues Malaria-Medikament getestet. Das Therapeutikum führte bei 83 an Malaria erkrankten Probanden zur Heilung. Die neue Wirkstoffkombination wurde Professor Peter Kremsner vom Institut für Tropenmedizin an der Universität Tübingen und der DMG Deutschen Malaria GmbH entwickelt. Die Studie erschien kürzlich im Magazin Clinical Infectious Diseases und ist frei zugänglich.


In der Studie überprüften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit einer Wirkstoffkombination aus Fosmidomycin und Piperaquin. Das Wirkstoffdoppel wurde drei Tage lang an Patienten im Alter von ein bis 30 Jahren verabreicht, die sich durch den Erreger Plasmodium falciparum mit Malaria infiziert hatten. In den 83 auswertbaren Fällen wurde bei den Patienten eine Heilungsrate von 100 Prozent erreicht. Die Behandlung erwies sich als sehr gut verträglich und führte schnell zum Abklingen der klinischen Symptome. Sicherheitsbedenken beschränkten sich auf Veränderungen im Elektrokardiogramm wie für Piperaquin bereits früher beschrieben wurde.


Die Studie wurde am Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) im afrikanischen Gabun durchgeführt, einer Forschungseinrichtung, die eng mit der Universität Tübingen verbunden ist. Finanzielle Förderung erhielt sie von der gemeinnützigen Organisation Medicines for Malaria Venture (MMV).


„Diese Studie stellt einen Meilenstein in der klinischen Entwicklung von Fosmidomycin dar“, sagt der Tübinger Tropenmediziner Professor Peter Kremsner. Der ursprünglich aus Streptomyces lavendulae isolierte Wirkstoff ist heute synthetisch herstellbar und blockiert den Stoffwechselweg für die sogenannte Isoprenoid-Biosynthese. Dem Malariaerreger werden so die Grundvoraussetzungen für Stoffwechsel und Vermehrung entzogen. Da Isoprenoide im menschlichen Körper auf einem anderen Syntheseweg erzeugt werden, gibt es für Fosmidomycin im Menschen keine Zielstrukturen. Deshalb wird der Wirkstoff sehr gut vertragen und führt kaum zu Nebenwirkungen. Zudem schließe der einzigartige Wirkstoffmechanismus eine Kreuzresistenz mit den Wirkstoffen bisheriger Malariamedikamente aus.


Die neue Wirkstoffkombination entspricht zudem den WHO-Richtlinien für Kombinationstherapien. Durch ihre gegen unterschiedliche Zielstrukturen gerichteten Wirkmechanismen werden die beiden Wirkstoffe voneinander unabhängig gegen die Parasiten im Blut aktiv. Dies erfüllt die Anforderungen der WHO sowohl an eine schnelle und wirksame Behandlung der akuten Infektionsphase als auch an den Schutz vor Rückfällen durch erneutes Auftreten der Infektion. Der Wirkmechanismus trage zudem zur Verzögerung einer möglichen Resistenzbildung bei, sagen die Wissenschaftler. Nach der klinischen Studie seien nun weitere Studien geplant, um die Dosis zu optimieren.

 


Publikation:

Ghyslain Mombo-Ngoma, Jonathan Remppis, Moritz Sievers, Rella Zoleko Manego, Lilian Endamne, Lumeka Kabwende, Luzia Veletzky, The Trong Nguyen, Mirjam Groger, Felix Lötsch, Johannes Mischlinger, Lena Flohr, Johanna Kim, Chiara Cattaneo, David Hutchinson, Stephan Duparc, Moehrle Joerg, Thirumalaisamy P Velavan, Bertrand Lell, Michael Ramharter, Ayola Akim Adegnika, Benjamin Mordmüller, Peter G Kremsner: „Efficacy and safety of fosmidomycin-piperaquine as non-artemisinin-based combination therapy for uncomplicated falciparum malaria – A single-arm, age-de-escalation proof of concept study in Gabon“, Clinical Infectious Diseases, https://academic.oup.com/cid/advance-article/doi/10.1093/cid/cix1122/4774674

 


Kontakt:

Prof. Dr. Peter G. Kremsner
Universitätsklinikum Tübingen/Universität Tübingen
Institut für Tropenmedizin
Telefon: +49 7071 29-87179
peter.kremsner[at]uni-tuebingen.de

 


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Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht an Frido Welker

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Den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält in diesem Jahr an Dr. Frido Welker von der Universität Kopenhagen. Er wird für seine Dissertation “The palaeoproteomic identification of Pleistocene hominin skeletal remains: towards a biological understanding of the Middle to Upper Palaeolithic transition” ausgezeichnet. In dieser untersucht er archäologisches Material aus der Periode der letzten Neandertaler und der ersten modernen Menschen.

 

Frido Welker hat an der Universität Leiden (Niederlande) Archäologie studiert und absolvierte 2013 seinen Master in Bioarchäologie an der Universität York. Promoviert wurde er 2016 am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo er auch als Postdoktorand tätig war. Seit 2017 forscht er im Natural History Museum der Universität Kopenhagen.

 

In der Zeit des Übergangs vom Mittelpaläolithikum (200.000 Jahre vor unserer Zeit) zum Jungpaläolithikum (40.000 Jahre vor unserer Zeit) löste der anatomisch moderne Mensch die Neandertaler ab. Bei archäologischen Funden aus dieser Zeit ist oft unklar ist, ob sie dem Neandertaler zuzuordnen sind oder eher dem anatomisch modernen Menschen, auch sind biologische Überreste von Hominiden selten erhalten. Frido Welker hat deshalb eine neue Methode entwickelt, mit der sich Funde aus archäologischen Schichten mittels charakteristischer organischer Moleküle einer der Menschenformen zuordnen lassen. Für eine Fundstelle des Châtelperronien konnte er so bereits eine Verbindung zum Neandertaler nachweisen. Das Châtelperronien in Südwestfrankreich und Nordspanien gilt als letzte archäologische Kultur, die mit dem Neandertaler in Verbindung steht. Sie gibt wichtige Aufschlüsse über Verhalten und Kognition des Neandertalers, aber auch über die Interaktionen zwischen den Menscharten und das Aussterben des Neandertalers.

 

Der mit 5000 Euro dotierte Förderpreis für Urgeschichte und Quartärökologie ist von der Mineralwassermarke EiszeitQuell gestiftet und wird in diesem Jahr zum 20. Mal verliehen.

Kontakt:

Professor Nicholas Conard
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP)
Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
Telefon +49 7071 29-72416
nicholas.conard[at]uni-tuebingen.de

 

 

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Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de
http://www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen

Indien-Stipendien für deutsche Journalisten

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Die Robert Bosch Stiftung GmbH und das Zentrum für Medienkompetenz (ZFM) an der Universität Tübingen schreiben für 2018 wieder acht Fellowships für ihr Journalistenprogramm „Medienbotschafter Indien – Deutschland“ aus. Deutsche Journalisten mit sehr guten Englischkenntnissen können sich bis zum 31. März 2018 für ein zwölfwöchiges Indien-Fellowship bewerben. Erfolgreiche Bewerber reisen vom 1. September bis 30. November 2018 zu ausgewählten Standorten nach Indien.

 

Indiens Gegensätzlichkeit ist fast schon sprichwörtlich: Das Nebeneinander von Tradition und Moderne bestimmt nach wie vor die westliche Wahrnehmung, die vielfach auf mangelnder Kenntnis und unzureichendem Verständnis der komplexen Zusammenhänge beruht. Von deutschen Medien wird Indien mit überwiegend kritischem Blick beobachtet oder zum exotischen Traum verklärt. Dabei entstehen Zerrbilder, werden alte Klischees bestätigt und neue geprägt, Ängste geschürt und viele Halbwahrheiten verbreitet. Ein Mittel, diesem Missstand aktiv zu begegnen, ist die Förderung des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Austauschs, zu dem die Medien auch im positiven Sinne einen wichtigen Beitrag leisten können.

 

Vor diesem Hintergrund ermöglicht das Programm „Medienbotschafter Indien – Deutschland“ Interessierten das Sammeln eigener Erfahrungen vor Ort. Es bietet exklusive Einblicke in die indische Medienlandschaft und Gesellschaft. Ziel des Programms ist die Förderung qualitativ hochwertiger, differenzierter Berichterstattung und des interkulturellen Dialogs, frei von Klischees.

 

Die „Medienbotschafter“ besuchen zunächst eine Fortbildung an einer renommierten Institution mit Medienfokus, an die sich verschiedene Exkursionen anschließen. Während des weiteren Aufenthalts arbeiten sie in Print-, Hörfunk-, Online- oder TV-Redaktionen in Neu-Delhi, Mumbai, Chennai oder in anderen indischen Metropolen. Dort gewinnen sie Einblicke in den Arbeitsalltag der indischen Kollegen und recherchieren und produzieren eigene Beiträge für deutsche Medien sowie die Gastredaktion. Die Erfahrungen und Kontakte ermöglichen es ihnen, kompetent und nachhaltig über aktuelle Entwicklungen in Indien zu berichten.

 

Die Fellows erhalten ein monatliches Stipendium in Höhe von 1.500 Euro. Die Kosten für Flüge, Visum, Reisekrankenversicherung, Studiengebühren sowie Exkursionen im Rahmen des Programms werden ebenfalls übernommen. Die Programmsprache ist Englisch.

 

Weitere Informationen zum Programm und den Link zur Online-Bewerbung finden Sie unter
http://india.medienbotschafter.com/

Kontakt:

Pradnya Bivalkar
Universität Tübingen
Zentrum für Medienkompetenz
Programmleiterin „Medienbotschafter Indien – Deutschland“
Telefon +49 7071 29 - 77061
E-Mail: pradnya.bivalkar[at]uni-tuebingen.de

Erstmals Jet eines jungen massereichen Sterns außerhalb unserer Galaxie entdeckt

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Ständig entwickeln sich neue Sterne, nicht nur in unserer Galaxie, der Milchstraße, sondern auch in anderen, weit entfernten Galaxien. Vereinfacht gesagt entstehen sie in der Mitte einer rotierenden Scheibe, die Materie ins Zentrum transportiert. Typischerweise entstehen dabei Jets, die Materie aus der Scheibe mit Überschallgeschwindigkeit mit sich reißen. Bisher wissen Astronomen jedoch deutlich weniger darüber, wie die Geburt bei Sternen abläuft, die mehr als zehnmal so schwer sind wie unsere Sonne. Denn sie sind bei ihrer Entstehung meist tief in ihrer Geburtswolke verborgen und daher mit optischen Teleskopen nicht sichtbar. Nur wenn ein solcher Jet kräftig genug ist, die Geburtswolke zu durchstoßen, können Astronomen ihn beobachten. Nun ist es einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung von Dr. Rolf Kuiper vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen erstmals gelungen, einen solchen Jet außerhalb unserer Milchstraße in der Großen Magellanschen Wolke zu beobachten. Die Studie, an der auch die neuseeländische University of Canterbury, die US-amerikanische University of Michigan und das britische Royal Observatory Edinburgh beteiligt sind, wird in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

 

Die direkte Beobachtung eines Jets um einen massereichen jungen Stern im optischen Spektralbereich nehmen Astronomen allgemein als nahezu unmöglich an. „Solche Objekte können nur in Regionen hoher Masse geboren werden. Sie sind in ihre Wolke eingebettet, durch die man kaum hindurchsehen kann“, erklärt Kuiper, der die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe zur Entstehung massereicher Sterne leitet. In ihrer Studie nutzten die Astronomen Daten, die mit dem MUSE-Instrument am „Very Large Telescope“ (VLT) der ESO (European Southern Observatory) in Chile gewonnen wurden. Sie hatten Glück: Sie entdeckten einen Jet mit einer Länge von rund 36 Lichtjahren. „Das ist einer der größten Jets dieser Art, die jemals beobachtet wurden“, sagt Anna McLeod, die Erstautorin der Studie von der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland. Darüber hinaus erlaubte die hohe spektrale Auflösung des MUSE-Instruments eine genaue Messung der Geschwindigkeit und Ausrichtung des Jets. „Der Stern, der diesen Jet ausstrahlt, muss ungefähr die zwölffache Sonnenmasse haben. Dies ist der erste Nachweis eines solchen Jets von einem jungen Stern aus einer anderen Galaxie“, sagt McLeod.

 

Die in der Großen Magellanschen Wolke herrschenden Bedingungen begünstigten die Erstbeobachtung. „Dort sind weniger schwere chemische Elemente vorhanden als in unserer Milchstraße, dadurch war die Umgebung des jungen Sterns weniger undurchsichtig“, erklärt McLeod. Außerdem habe ein älterer massereicher Stern in der Nähe die Geburtswolke mit seiner Strahlung im extremen ultravioletten Bereich weggeblasen, setzt Kuiper hinzu. „Dadurch wurde der Jet sichtbar.“

 

Kuiper sieht sich durch die neue Beobachtung in seiner Forschungsarbeit grundsätzlich bestätigt: „Die Beobachtung zeigt, dass alle Sterntypen unabhängig von ihrer Masse in ihrer Entstehungsphase die gleichen Prozesse durchlaufen.“ Und das gelte sogar außerhalb unserer Galaxie, wo die Bedingungen und die verfügbare Materie anders aussehen können als in der Milchstraße.

Publikation:

Anna F. McLeod, Megan Reiter, Rolf Kuiper, Pamela D. Klaassen, Christopher J. Evans: A parsec-scale optical jet from a massive young star in the Large Magellanic Cloud. Nature, DOI: 10.1038/nature25189.

Kontakt:

Dr. Rolf Kuiper
Universität Tübingen
Institut für Astronomie und Astrophysik
Emmy Noether-Nachwuchsgruppe zur Entstehung massereicher Sterne
Telefon +49 7071 29-75490
rolf.kuiper[at]uni-tuebingen.de

 

http://www.tat.physik.uni-tuebingen.de/~msf

 

 

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Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
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Was sich im Gehirn vor einem Bungee-Sprung abspielt

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Dem Tübinger Psychiater und Neurowissenschaftler Surjo R. Soekadar und seinem Doktoranden Marius Nann ist es erstmals gelungen, das sogenannte Bereitschaftspotential außerhalb des Labors und unter Extrembedingungen zu messen, nämlich vor einem Bungee-Sprung. Das Bereitschaftspotential ist die charakteristische elektrische Spannungsverschiebung im Gehirn, die eine bevorstehende willentliche Handlung anzeigt, und die entsteht, noch bevor sich der Handelnde bewusst wird, dass er gleich eine Bewegung ausführen wird. Die Ergebnisse der Studie werden im Frühjahr 2018 in einem internationalen Fachjournal veröffentlicht, sind aber vorab online verfügbar: https://www.biorxiv.org/content/early/2018/01/27/255083 
(DOI: https://doi.org/10.1101/255083)

 

Das Bereitschaftspotential wurde erstmals 1964 von Hans-Helmut Kornhuber und Lüder Deecke beschrieben, die hierzu unter strengen Laborbedingungen die Hirnströme eines Probanden über hunderte von Fingerbewegungen maßen. Trotz zahlreicher Studien wurde es bisher nie in lebensnahen Situation gemessen: Da die Spannungsverschiebung im Bereich von lediglich einigen wenigen Millionstel-Volt liegt, galten nur Messungen unter Laborbedingungen als möglich.

 

Insbesondere für die Weiterentwicklung alltagstauglicher Gehirn-Maschine Schnittstellen wollten die Forscher jedoch herausfinden, ob das Bereitschaftspotential auch in Alltagsumgebungen messbar ist. Zudem interessierte sie, ob die für eine Handlung nötige Willenskraft Einfluss auf die Ausprägung des Bereitschaftspotentials hat. Für die Studie erklärten sich zwei semi-professionelle Klippenspringer bereit, ihre Hirnströme vor Bungee-Sprüngen von der 192-Meter hohen Europabrücke bei Innsbruck aufzeichnen zu lassen.

 

Nach nur wenigen Sprüngen gelang es den Forschern, das Bereitschaftspotential zweifelsfrei nachzuweisen. „Das aktuelle Experiment zeigt einmal mehr, dass sich die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter verschieben und Neurotechnologie schon bald zum Alltag gehören wird“, sagt Soekadar. Die geringe Anzahl der Sprünge belege, dass das Bereitschaftspotential vor Bungee-Sprüngen sehr stark ausgeprägt sei, erklärt Nann. 

 

Links: Die semiprofessionellen Klippenspringer trugen eine kabellose Elektrodenkappe zur Aufzeichnung ihrer Hirnströme. Rechts: Einer der Springer im freien Fall. Nach nur wenigen Sprüngen gelang es erstmals, das sogenannte Bereitschaftspotential in einer Extrem-Situation außerhalb des Labors nachzuweisen                     Fotos: Surjo R. Soekadar

Kontakt:

PD Dr. med. Surjo R. Soekadar
Universität Tübingen
Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Telefon +49 7071 29-82640
Mobil +49 163 16 44 88 9
surjo.soekadar[at]uni-tuebingen.de

 

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Aus eins mach zwei: Wie Pflanzen einen eigenen Weg der Zellteilung erfunden haben

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Zellteilung ist eine grundlegende Eigenschaft des Lebens: Einzeller wie zum Beispiel Bakterien vermehren sich durch Zellteilung, Vielzeller wachsen und entwickeln sich dadurch. Bei Vielzellern gibt es zwei verschiedene Strategien, die Zelle zu teilen. Eine verfolgen Mensch, Tier und Pilz – die andere findet sich nur bei Pflanzen. Dr. Misoon Park und Professor Gerd Jürgens vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen haben die molekulare Maschinerie hinter der Zellteilung der Pflanzen erforscht und können nun den eigenen Weg nachzeichnen, den vor allem die Blütenpflanzen in der Evolution dabei genommen haben. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Developmental Cell veröffentlicht.

 

Bei der Zellteilung von Mensch, Tieren und den damit verwandten Pilzen wird die Zellmembran eingeschnürt und zum Schluss die Verbindung zwischen den Tochterzellen in der Mitte kontrolliert abgeschnürt. Bei Pflanzen hingegen werden Unmengen von winzigen Membranbläschen, die sogenannten Vesikel, in die Mitte der Teilungsebene transportiert. Dort verschmelzen sie kontrolliert miteinander zu einer dünnen Zellplatte, die anfänglich wie eine Scheibe Schweizer Käse aussieht. Diese Platte wächst nach außen, indem später ankommende Vesikel an den Rand der wachsenden Zellplatte geliefert werden und der Rand schließlich mit der Zellmembran verschmilzt; damit sind die Tochterzellen getrennt. „Diese ganz andere Strategie der Zellteilung ist in der Evolution entstanden, noch bevor aus Algen die ersten Landpflanzen hervorgegangen sind“, erklärt Jürgens.

Molekulare Maschinerie in neuer Verwendung

Von bisherigen Untersuchungen an Blütenpflanzen war bekannt, dass es eine spezielle molekulare Maschinerie gibt, die die Membranvesikel miteinander und mit der Zellplatte verschmilzt. „Eine wichtige Komponente dieser Maschinerie gibt es aber nur bei Blütenpflanzen, nicht bei anderen Landpflanzen wie zum Beispiel Moosen oder Algen“, sagt Jürgens. In ihrer neuen Studie hat er gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe durch Ausschalten einzelner Gene verfolgt, wo diese molekulare Maschinerie zu finden ist und wofür sie eingesetzt wird.

 

„Diese Maschinerie war ursprünglich nicht auf die Zellteilung spezialisiert“, fasst Park die Ergebnisse zusammen. Algen haben sie zunächst genutzt, um Vesikel mit der Zellmembran zu verschmelzen und dadurch zum Beispiel Stoffe aus der Zelle heraus zu transportieren. „Die ursprüngliche Zusammensetzung der Maschinerie wurde beibehalten und spielt auch bei der Zellteilung der Blütenpflanzen noch eine Rolle, aber vor allem auch dort bei der Verschmelzung von Vesikeln mit der Zellmembran“, sagt Park. Dann hätten die Blütenpflanzen eine neue zusätzliche Variante der Maschinerie entwickelt, die sie ausschließlich bei der Zellteilung einsetzen. „Diese Neuerung, eine Erfindung der Blütenpflanzen sozusagen, ergab sich nach Hunderten von Millionen Jahren der Pflanzenevolution. Offenbar brauchten die Blütenpflanzen bei den komplizierten Besonderheiten ihrer Samenentwicklung eigene Mechanismen für die Zellteilung“, sagt Jürgens.

Publikation:

Misoon Park, Cornelia Krause, Matthias Karnahl, Ilka Reichardt, Farid El Kasmi, Ulrike Mayer, York-Dieter Stierhof, Ulrike Hiller, Georg Strompen, Martin Bayer, Marika Kientz, Masa H. Sato, Marc T. Nishimura, Jeffery L. Dangl, Anton A. Sanderfoot, and Gerd Jürgens: Concerted Action of Evolutionarily Ancient and Novel Snare Complexes in Flowering-Plant Cytokinesis. Developmental Cell, 25. Januar 2018. DOI 10.1016/j.devcel.2017.12.027

Kontakt:

Prof. Dr. Gerd Jürgens
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
Telefon +49 7071 29-78886
gerd.juergens[at]zmbp.uni-tuebingen.de

 

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Moderner Mensch vs. Riesentier

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Senckenberg-Wissenschaftler Hervé Bocherens hat das Aussterben von Mega-Herbivoren – pflanzenfressende Tiere über eine Tonne Gewicht – vor etwa 12.000 Jahren untersucht. Der Tübinger Wissenschaftler kommt zu dem Schluss, dass der moderne Mensch zum einen Aussterbegrund für die riesigen Landtiere war, zum anderen aber auch deren Ökosystemfunktionen zu Teilen übernommen hat. In seiner kürzlich im Fachjournal „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlichten Studie schlussfolgert er, dass eine Auswilderung von Großtieren in einigen Teilen der Welt einen positiven Aspekt bezüglich der Artenvielfalt haben könnte.

 

Heutzutage gibt es nur wenige Tiere, die ein Gewicht von einer Tonne und mehr auf die Waage bringen. Elefanten, Flusspferde und Nashörner gehören zu diesen „Mega-Pflanzenfressern“ und sind trotz ihrer Größe in ihren Beständen gefährdet.

„Aus erdgeschichtlicher Sicht ist die geringe Anzahl so weniger großer Tierarten eine Anomalie“ erklärt Prof. Dr. Hervé Bocherens vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und fährt fort: „Das prominentestes Beispiel für Riesen der Vergangenheit sind natürlich die Dinosaurier.“

Doch auch in der jüngeren Erdgeschichte gab es Kolosse der Tierwelt, wie beispielsweise Riesen-Faultiere, Wollnashörner und Mammute. Warum diese vor etwa 12.000 Jahren ausstarben und welche Folgen dies für die Umwelt hatte, hat der Tübinger Biogeologe nun untersucht.

 

„Wie heutige Elefanten fungierten die Mega-Pflanzenfresser als ‚Ökosystem-Ingenieure’. Sie reduzierten den Baumbewuchs und hielten die Landschaft und für viele Tiere lebenswichtige Wasserlöcher offen. In ihrem Verdauungstrakt wanderten Pflanzensamen über viele Kilometer und wurden so verbreitet“, erläutert Bocherens.

Er zeigt in seiner aktuellen Studie, dass diese Aufgaben in der Zeit von vor etwa 45.000 bis 12.000 Jahren vom modernen Menschen übernommen wurden. „In dieser Epoche hat sich der moderne Mensch im nördlichen Eurasia, Nord- und Südamerika und Australien ausgebreitet und die riesigen Pflanzenfresser starben nach und nach aus“, ergänzt Bocherens.

 

Mit der „neolithischen Revolution“, dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht, der Vorratshaltung und der Sesshaftigkeit, wurden Teile der Funktionen der ausgestorbenen „Ökosystem-Ingenieure“ wieder ersetzt. Doch in einigen Gebieten, wie beispielsweise in der für Landwirtschaft ungeeigneten Subarktis – einst Heimat der Mammutsteppe – blieb an der Stelle eine Lücke, die bis heute besteht. Die Lebensweise der Tierriesen beeinflusste die gesamte Vegetation – Bäume wurden klein gehalten und andere Pflanzen hatten genügend Platz und Nährstoffangebot zu wachsen. Die Diversität in der Pflanzenwelt wirkte sich wiederum positiv auf die Vielfalt der Tierwelt aus.

Mit dem Aussterben der pflanzenfressenden Riesen verwaldeten die Steppen zu borealen Nadelwäldern. Die Folge war eine Verringerung des sogenannten „Albedo-Effektes“: Statt einer weißen Schneefläche im Winter oder einer gelblichen Landschaft mit trockenen Gräsern im Sommer, reflektiert das dunkle Grün der Wälder die Sonneneinstrahlung weniger und erwärmt so das Klima. Zudem waren die Böden der Mammutsteppe trockener und emittierten weniger des Treibhausgases Methan. Bocherens hierzu: „Die Anwesenheit der pflanzenfressenden Riesen hat demnach nicht nur zu einer höheren Artenvielfalt beigetragen, sondern hatte auch Einfluss auf das globale Klima.“

 

Ein besseres Verständnis der Unterschiede, aber auch der Ähnlichkeiten zwischen den Auswirkungen der ausgestorbenen Mega-Pflanzenfresser und der menschlichen Landwirtschaft auf die Ökosysteme, kann laut der Studie dabei helfen die Zukunft terrestrischer Ökosysteme besser vorherzusagen. „In einigen Gebieten unserer Erde könnte es sogar sinnvoll sein wieder solche Mega-Pflanzenfresser anzusiedeln, um so die Biodiversität zu erhöhen und die Klimaerwärmung zu vermeiden“, resümiert Bocherens.

Publikation

Bocherens H (2018) The Rise of the Anthroposphere since 50,000 Years: An Ecological Replacement of Megaherbivores by Humans in Terrestrial Ecosystems? Front. Ecol. Evol. 6:3. doi: 10.3389/fevo.2018.00003

Kontakt

Prof. Dr. Hervé Bocherens
Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP)
Eberhard Karls Universität Tübingen
Tel. 07071- 29-76988
herve.bocherens[at]uni-tuebingen.de

 

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Tel. 069- 7542 1434
pressestelle[at]senckenberg.de

  

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Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können - dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
 
Die Universität Tübingen gehört zu den elf deutschen Universitäten, die als exzellent ausgezeichnet wurden. In den Lebenswissenschaften bietet sie Spitzenforschung im Bereich der Neurowissenschaften, Transnationalen Immunologie und Krebsforschung, der Mikrobiologie und Infektionsforschung sowie der Molekularbiologie. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Geound Umweltforschung, Archäologie und Anthropologie, Sprache und Kognition sowie Bildung und Medien. Mehr als 28.400 Studierende aus aller Welt sind aktuell an der Universität Tübingen eingeschrieben. Ihnen steht ein Angebot von rund 300 Studiengängen zur Verfügung – von der Ägyptologie bis zu den Zellulären Neurowissenschaften.

Was Magnetfelder im Gehirn verändern – und wie man das erforschen kann

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Tübinger Neurowissenschaftler haben eine Methode entwickelt, mit der sich die Gehirnaktivität während einer transkraniellen Magnetstimulation (TMS) messen lässt. Obwohl die TMS seit 30 Jahren erforscht wird, ist bisher wenig über ihre Wirkungsweise bekannt. Ein besseres Verständnis könnte dazu beitragen, die TMS als nicht-invasive und schmerzfreie Diagnose- und Behandlungsmethode weiter zu entwickeln. Die Studie wurde kürzlich im Fachmagazin eLife veröffentlicht.

 

Es klingt wie Science Fiction: Die Gehirnaktivität eines Menschen lässt sich ohne Berührung verändern, indem man eine Drahtspule über den Kopf hält ‒ und dadurch bewegen sich beispielsweise Arme oder Beine. Diese Technik, die transkranielle Magnetstimulation, wird in der Forschung und zur Behandlung vieler Hirnerkrankungen verwendet. Die TMS sendet ein starkes gepulstes Magnetfeld aus, das winzige elektrische Ströme im Hirngewebe darunter erzeugt. Diese können Neuronen (Nervenzellen im Gehirn) aktivieren.

 

In der Medizin wird TMS bei Störungen motorischer Funktionen (z.B. bei Multipler Sklerose oder nach einem Schlaganfall) diagnostisch eingesetzt. Therapeutisch kommt sie beispielsweise bei Tinnitus, bei Depressionen, bei Schmerz- und neuerdings auch Suchtpatienten zum Einsatz. In Europa ist die TMS allerdings noch keine etablierte Behandlungsmethode.

 

Denn was mit den Neuronen genau passiert, wenn das Magnetfeld eingeschaltet wird, verstehen Forscher bis heute nicht wirklich: Die elektrische Aktivität einzelner Neurone im Gehirn misst man mit Mikroelektroden. Diese werden jedoch durch die starken Magnetfelder der TMS massiv gestört und die abgeleiteten Signale der Nervenzellen maskiert.

 

Forscher mehrerer Arbeitsgruppen (Cornelius Schwarz, Martin Giese, Ulf Ziemann, Axel Oeltermann) aus drei Tübinger Instituten (Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik) haben nun gemeinsam eine Abschirmung der Mikroelektroden gegen die starken Magnetfelder der TMS entwickelt. So können sie die Veränderungen in einzelnen Hirnzellen mit nur einer Millisekunde Verzögerung nach dem Magnetimpuls messen.

 

Die Forscher bewiesen in ihrer Studie, dass ihre Abschirmungstechnik verwendbare Daten liefert. Dazu stimulierten sie mit TMS die Region im Motorkortex von Ratten, die die Vordergliedmaßen steuert. Während die Tiere durch die Stimulation ihre Vorderpfoten bewegten, maßen die Forscher die Aktivität der Neuronen. Zum ersten Mal konnten sie so direkt beobachten, wie die für die Vordergliedmaßen verantwortlichen Kortexneuronen auf TMS reagierten. Sie stellten fest, dass die neuronale Aktivität auch nach Ende des TMS-Pulses anhielt. Außerdem änderte sich die neuronale Aktivität abhängig von der Richtung des Stromflusses, den die TMS im Hirngewebe erzeugte. Diese Ergebnisse passen verblüffend genau zu Beobachtungen in der klinischen Forschung beim Menschen, bei denen Neuronenaktivität statt im Gehirn im Rückenmark und in den Muskeln aufgezeichnet wurde.

 

„Nur zwei Arbeitsgruppen weltweit haben Ähnliches vor uns geschafft“, sagt Dr. Alia Benali, die die Studie geplant und durchgeführt hat. Die Methoden dieser Vorgängerstudien sind technisch äußerst anspruchsvoll; außerdem sind sie spezifisch für Primatengehirne entwickelt: Einschränkungen, die für viele Laboratorien ein Hindernis darstellen. „Uns ging es darum, eine einfache Methode zur Untersuchung neuronaler Aktivität bei TMS zu entwickeln. Sie soll für jedes Labor ohne spezielles Know-how zugänglich sein“, erklärt Doktorand Bingshuo Li.

Publikation:

Bingshuo Li, Juha P. Virtanen, Axel Oeltermann, Cornelius Schwarz, Martin A. Giese, Ulf Ziemann, Alia Benali: Lifting the Veil on the Dynamics of Neuronal Activities Evoked by Transcranial Magnetic Stimulation. eLife 2017;6:e30552; DOI: 10.775/eLife.30552

Autorenkontakt:

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Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Otfried-Müller-Str. 25
D-72076 Tübingen
Tel.: +49 7071 29-89033
alia.benali[at]uni-tuebingen.de

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Die Universität Tübingen

Innovativ. Interdisziplinär. International. Die Universität Tübingen verbindet diese Leitprinzipien in ihrer Forschung und Lehre, und das seit ihrer Gründung. Seit mehr als fünf Jahrhunderten zieht die Universität Tübingen europäische und internationale Geistesgrößen an. Immer wieder hat sie wichtige neue Entwicklungen in den Geistes- und Naturwissenschaften, der Medizin und den Sozialwissenschaften angestoßen und hervorgebracht. Tübingen ist einer der weltweit führenden Standorte in den Neurowissenschaften. Gemeinsam mit der Medizinischen Bildgebung, der Translationalen Immunologie und Krebsforschung, der Mikrobiologie und Infektionsforschung sowie der Molekularbiologie der Pflanzen prägen sie den Tübinger Forschungsschwerpunkt im Bereich der Lebenswissenschaften. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Geo- und Umweltforschung, Astro-, Elementarteilchen- und Quantenphysik, Archäologie und Anthropologie, Sprache und Kognition sowie Bildung und Medien. Die Universität Tübingen gehört zu den elf deutschen Universitäten, die als exzellent ausgezeichnet wurden. In nationalen und internationalen Rankings belegt sie regelmäßig Spitzenplätze. In diesem attraktiven und hoch innovativen Forschungsumfeld haben sich über die Jahrzehnte zahlreiche außeruniversitäre Forschungsinstitute und junge, ambitionierte Unternehmen angesiedelt, mit denen die Universität kooperiert. Durch eine enge Verzahnung von Forschung und Lehre bietet die Universität Tübingen Studierenden optimale Bedingungen. Mehr als 28.000 Studierende aus aller Welt sind aktuell an der Universität Tübingen eingeschrieben. Ihnen steht ein breites Angebot von rund 300 Studiengängen zur Verfügung – von der Ägyptologie bis zu den Zellulären Neurowissenschaften.

Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)

Das Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) ist eine interdisziplinäre Institution an der Eberhard Karls Universität Tübingen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Ziel des CIN ist es, zu einem tieferen Verständnis von Hirnleistungen beizutragen und zu klären, wie Erkrankungen diese Leistungen beeinträchtigen. Das CIN wird von der Überzeugung geleitet, dass dieses Bemühen nur erfolgreich sein kann, wenn ein integrativer Ansatz gewählt wird.

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Land Baden-Württemberg, der Eberhard Karls Universität und ihrer medizinischen Fakultät, sowie dem Universitätsklinikum Tübingen gegründet. Das HIH beschäftigt sich mit einem der faszinierendsten Forschungsfelder der Gegenwart: der Entschlüsselung des menschlichen Gehirns. Im Zentrum steht die Frage, wie bestimmte Erkrankungen die Arbeitsweise dieses Organs beeinträchtigen. Dabei schlägt das HIH die Brücke von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Ziel ist, neue und wirksamere Strategien der Diagnose, Therapie und Prävention zu ermöglichen. Derzeit sind 18 Professoren und rund 350 Mitarbeiter am Institut beschäftigt.

 

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Windparks erzeugen lange Wirbelschleppen

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Ein Forschungsverbund hat erstmals großräumige Nachläufe hinter Windparks in der Nordsee mit einem Forschungsflugzeug nachgewiesen und vermessen. Die sogenannten Nachläufe oder Wirbelschleppen hinter Offshore-Windparks entstehen, weil diese den Wind als Hindernis bremsen und ihm Energie entziehen. Professor Jens Bange und Dr. Andreas Platis vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften (ZAG) der Universität Tübingen waren an dem Projekt beteiligt, das in der Deutschen Bucht unter bestimmten atmosphärischen Bedingungen Nachläufe von bis zu 70 Kilometern Länge nachwies. In diesen wurde das Windfeld merklich abgebremst, es traten verstärkt turbulente Verwirbelungen auf. Die Ergebnisse sollen beim weiteren Ausbau der Windkraftnutzung in der Nordsee berücksichtigt werden. So können die Voraussetzungen für einen effizienten und umweltverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie geschaffen werden. Die Studie wurde im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht.


In den vergangenen Jahren wurden Offshore-Anlagen in der Deutschen Bucht großflächig ausgebaut. Deshalb gab es nun erstmals die Möglichkeit, die Nachlaufeffekte von Windparks, die bereits in Modellen und anhand von Satellitenbildern vorhergesagt wurden, direkt experimentell und quantitativ zu bestätigen. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen, vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie in Garmisch-Partenkirchen, der Technischen Universität Braunschweig (Institut für Flugführung), des Helmholtz-Zentrums Geesthacht, HZG (Institut für Küstenforschung) und der UL DEWI - UL International GmbH. In 41 Flügen mit dem Messflugzeug DO-128 der Universität Braunschweig erhoben sie Windgeschwindigkeit und Turbulenz über der Deutschen Bucht.


Dabei zeigte sich, dass vor allem bei einer stabilen atmosphärischen Schichtung, wenn warme Luft vom Festland über die kalte Nordsee strömt, Nachläufe hinter Windparks entstehen (siehe Abbildung 2). In Strecken von bis zu 70 Kilometern ist hier die Windgeschwindigkeit im Vergleich zur ungestörten Strömung reduziert. Mit diesen Erkenntnissen lassen sich künftig die Einflüsse auf stromab liegende Windparks besser vorhersagen und Modellsimulationen verbessern.


Die neuen Messungen sind ein wichtiger Schritt in dem großangelegten Forschungsprojekt WIPAFF (WInd PArk Far Field), das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Die Verbundpartner analysieren erstmals die Fernfelder von Nachläufen ‒ zwischen zehn und 100 Kilometer hinter Windparks ‒ mit bodengestützten Beobachtungen sowie Satelliten- und Flugzeugmessungen. Darüber hinaus überprüfen und erweitern sie Windfeldmodelle und analytische Windparkmodelle und untersuchen die Auswirkungen des fortschreitenden Ausbaus der Windkraftnutzung in der Nordsee quantitativ. Daraus werden Werkzeuge entwickelt, mit denen der weitere Ausbau der Windkraftnutzung in der Nordsee begleitet und optimiert werden kann.

 

Skala mit Darstellung der Messung der Windgeschwindigkeit


Windgeschwindigkeit gemessen mit dem Forschungsflugzeug am 10. September 2016 nördlich des Windparks Amrumbank West. Die schwarzen Punkte markieren die Windkraftanlage Amrumbank West, Nordsee Ost und Meerwind Süd/Ost.

Die Windgeschwindigkeit wurde entlang des Flugpfades (schwarze Linie) gemessen und senkrecht zur Hauptwindrichtung (Windrichtung 190°, schwarzer Pfeil) interpoliert. Die blaue Färbung direkt hinter der Anlage zeigt die geringsten Windgeschwindigkeiten. Abbildung: Andreas Platis

 


Publikation:

Andreas Platis, Simon. K. Siedersleben, Jens Bange, Astrid Lampert, Konrad Bärfuss, Rudolf Hankers, Beatriz Cañadillas, Richard Foreman, Johannes Schulz-Stellenfleth, Bughsin Djath, Thomas Neumann, Stefan Emeis, First in situ evidence of wakes in the far field behind offshore wind farms, Scientific Reports, 2018, doi 10.1038/s41598-018-20389-y

 


Kontakt:

Universität Tübingen
Zentrum für Angewandte Geowissenschaften, AG Umweltphysik

Dr. Andreas Platis
Tel. 07071-29-73121
andreas.platis[at]uni-tuebingen.de

Prof. Dr. Jens Bange
Tel. 07071-29-74714
jens.bange[at]uni-tuebingen.de

 

 


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Ein typischer Mitteleuropäer – Genom des Architekten der Dresdner Frauenkirche entschlüsselt

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Von vielen historischen Persönlichkeiten ist kein Bildnis überliefert. So gibt es auch von George Bähr, dem Architekten und Erbauer der Dresdner Frauenkirche, der von 1666 bis 1738 lebte, keine Beschreibung oder gar ein Porträtbild. Beim Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche wurden Teile seines Skeletts gefunden. Auf Anregung der George-Bähr-Stiftung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der Universität Tübingen Knochenproben von Bähr untersucht. Sie wendeten eine bisher in der paläogenetischen Abstammungsforschung genutzte Methode an, um beispielhaft zu untersuchen, welche Aussagen sich zu dessen Aussehen und Merkmalen treffen lassen. Von der Universität Tübingen waren Alexander Peltzer und Professorin Kay Nieselt vom Zentrum für Bioinformatik sowie Alissa Mittnik und Cosimo Posth vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie an der Studie beteiligt. Ein Porträt im klassischen Sinne lässt sich aus den Ergebnissen nicht zeichnen. Doch einige Punkte kann das Forschungsteam festhalten. Danach war Bähr genetisch gesehen ein typischer Mitteleuropäer, der helle Haut und wahrscheinlich braune Augen hatte. Die Studie wird in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.


George Bähr wurde 1666 als Sohn eines Webers in Fürstenwalde südlich von Dresden geboren. Er machte eine Lehre als Zimmermann und kam 1693 nach Dresden, wo er unter anderem Mechanik studierte. 1705 wurde er zum Ratszimmermeister ernannt. Sein Hauptwerk, die Dresdner Frauenkirche, begann er 1722. Bähr starb 1738, fünf Jahre vor ihrer Vollendung, mit 72 Jahren an einem Lungenödem. Er wurde zunächst auf dem Johanniskirchhof beerdigt. Erst 1854 wurden seine Überreste in die Krypta der Frauenkirche umgebettet. Die Dresdner Frauenkirche wurde im Zweiten Weltkrieg bei den Luftangriffen der Westalliierten im Februar 1945 weitgehend zerstört. Erst nach der Wende begann 1994 der Wiederaufbau, der 2005 abgeschlossen wurde. Dabei gefundene Skelettteile sind mit hoher Wahrscheinlichkeit George Bähr zuzuordnen.
 
Mit der rasanten Weiterentwicklung genetischer Untersuchungsmethoden wurden schon einige Versuche unternommen, das Aussehen historischer Personen zu rekonstruieren. Die Entzifferung des gesamten Erbguts, des Genoms, sei jedoch noch immer recht kostspielig, sagt Krause. Daher nutzte das Forschungsteam zur Analyse des Erbguts von George Bähr eine preisgünstigere Technik, die sonst in der Populationsgenetik verwendet wird, wenn zahlreiche Proben alter DNA auf die Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnisse durchmustert werden. Hierbei konzentrieren sich die Forscher auf ausgesuchte Stellen im Erbgut, von denen bestimmte Varianten an Mutationen, also Genveränderungen, bekannt sind. Die individuellen Muster dieser Genvarianten lassen einige Rückschlüsse auf Merkmale des Menschen zu.


„Unser erster Punkt war sicherzustellen, dass es sich überhaupt um alte DNA handelt“, sagt Alexander Peltzer, Erstautor der Studie. Dies gelang den Forschern anhand typischer Schäden, die sich über den Zeitraum der Zersetzung anhäufen. Die Knochenproben seien mindestens hundert Jahre alt. Außerdem konnten sie nachweisen, dass es sich um ein männliches Individuum handelte und dass die Proben frei von Verunreinigungen durch DNA anderer Personen war. „Von mütterlicher Seite fanden wir die typischen Genmuster einer mitteleuropäischen Herkunft. Die väterliche Linie, das Muster der Y-Chromosomen, fand sich zu dieser Zeit in großen Teilen Westeuropas, am häufigsten im Donaubecken und der Pariser Region“, berichtet Peltzer. „Bähr war ein typischer Mitteleuropäer, bei dem sich keine genetischen Einflüsse von Menschen außerhalb Europas fanden.“ Er sei hellhäutig gewesen, die Augenfarbe sehr wahrscheinlich braun. Die Forscher fanden darüber hinaus ungefähr ein Dutzend Genvarianten, die nach heutigem Wissen das Risiko für bestimmte Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder eine Verengung der Herzkranzgefäße steigern. „Obwohl Bähr für die Verhältnisse im 17. und 18. Jahrhundert relativ lange lebte, hat seine genetische Disposition möglicherweise zu seinem Tod beigetragen“, sagt Krause.

Publikation:

Alexander Peltzer, Alissa Mittnik, Chuan-Chao Wang, Tristan Begg, Cosimo Posth, Kay Nieselt, and Johannes Krause: Inferring genetic origins and phenotypic traits of George Bähr, the architect of the Dresden Frauenkirche. Scientific Reports, DOI 10.1038/s41598-018-20180-z.

Kontakt:

Alexander Peltzer
Universität Tübingen
Quantitative Biology Center (QBiC)
Telefon +49 7071 29 - 78290
alexander.peltzer[at]qbic.uni-tuebingen.de
 
Prof. Dr. Johannes Krause
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Universität Tübingen
krause[at]shh.mpg.de

 

 

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Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
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Neues Magazin zu „Science Notes“ gestartet

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Es ist ein Experiment, um neue Formen der Wissenschaftskommunikation zu entwickeln und junge Menschen für Forschung zu begeistern – das neue Science Notes Magazin, das seit dem 1. Februar im Zeitschriftenhandel erhältlich ist. Wissenschaftler des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen haben die Zeitschrift konzipiert. Gefördert wird das Projekt von der Klaus Tschira Stiftung (KTS).

 

„Ziel des Science Notes Magazins ist es, einem jungen Publikum zu zeigen, wie spannend Wissenschaft sein kann und in welchen Bereichen sie unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen wird“, sagt Olaf Kramer, Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation an der Universität Tübingen, der das Heft gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Susanka herausgibt.

 

Entstanden ist das Heft aus der gleichnamigen Veranstaltungsreihe, mit der die Tübinger Rhetoriker seit 2014 erfolgreich durch die deutsche Clubszene touren. Unter dem Motto „Unsere Zukunft in 5 mal 15 Minuten“ kombiniert die Veranstaltung wissenschaftliche Vorträge und elektronische Musik. „Egal, wo wir das Format in den vergangenen Jahren gezeigt haben, die Science Notes sind quasi immer ausgebucht“, sagt Kramer und ergänzt: „Das zeigt, dass man junge Menschen mit komplexen wissenschaftlichen Themen erreichen kann, wenn die Mischung stimmt.“ So sei aus der Veranstaltung die Idee zu einem Printmagazin entstanden.  

 

In jedem Heft erzählen die Autoren Geschichten rund um ein Schwerpunktthema, das sie aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Die erste Ausgabe widmet sich dem Thema „Optimal“ und beschäftigt sich mit optimalen Ergebnissen – in der Wissenschaft und im Alltag. Konkret geht es im ersten Heft etwa darum, wie man die perfekte Entscheidung trifft, wie Implantate und Apps bei der Selbstoptimierung helfen und um die ökologischste Art, Tomaten zu züchten.  „Uns war es wichtig, ein Magazin zu produzieren, das zeigt, wie schwierig, spannend und überraschend Forschung sein kann, wir wollten weg von der bloßen Ergebnisfixierung“, erklärt der Tübinger Rhetoriker und Mitherausgeber Thomas Susanka.

 

Da das Magazin als Ableger zur Veranstaltungsreihe entstanden ist, gibt es auch dazu einige Querverbindungen. So tauchen Redner aus den Clubs auch im Heft auf. Hinzu kommen einige formale Verbindungen: In jedem Heft gibt es eine Rubrik „Playlist“ mit Songs zum jeweiligen Heftthema und es gibt das Format „Note“, kurze Texte zu einem aktuellen Forschungsfeld.

 

Ermöglicht wird das neue Magazin – wie auch die Veranstaltungsreihe – durch eine Förderung der Klaus Tschira Stiftung. „Bei der Veranstaltung und dem Magazin ist es uns ein Anliegen, Lesern zwischen 18 und 35 zu vermitteln, welche Relevanz wissenschaftliche Ergebnisse für jeden Einzelnen haben. Wir freuen uns sehr, dass wir das Projekt mit einem bewährten Kooperationspartner realisieren können“, sagt Beate Spiegel, Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung.

 

Wissenschaftler des Seminars für Allgemeine Rhetorik sind bereits am Wettbewerb „Jugend präsentiert“ beteiligt, einem Projekt der KTS in Kooperation mit Wissenschaft im Dialog. Dabei werden Präsentationskompetenzen von Schülerinnen und Schülern in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer gefördert. Am Seminar für Allgemeine Rhetorik wurden eigens dafür Unterrichtsmaterialien und Lehrertrainings entwickelt, die bundesweit angeboten werden.

 

Die Klaus Tschira Stiftung fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für neue Formen der Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte ein. www.klaus-tschira-stiftung.de

 

Am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen werden Experten für strategische Kommunikation ausgebildet und rhetorische Phänomene erforscht. Themenschwerpunkte am Seminar für Rhetorik sind unter anderem Argumentationstheorie, rhetorische Psychologie sowie virtuelle und multimediale Rhetorik. www.rhetorik.uni-tuebingen.de

 

Das Science Notes Magazin ist ab dem 1. Februar im Bahnhofsbuchhandel und Zeitschriftenfachhandel zu einem Preis von sechs Euro pro Heft erhältlich (Europa 8 Euro, Schweiz 12,50 CHF, andere 15 Euro); es erscheint zweimal jährlich.

Kontakt:

Universität Tübingen
Seminar für Allgemeine Rhetorik
Prof. Dr. Olaf Kramer
Telefon: +49 7071 29-74256
E-Mail: olaf.kramer[at]uni-tuebingen.de


Pressekontakt:

Agnes Schulze
Klaus Tschira Stiftung
Medien und Kommunikation
Tel.: +49 6221 533 114
E-Mail: agnes.schulze[at]klaus-tschira-stiftung.de

 

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Schildkrötengehirne sind komplexer als gedacht

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Die Gehirne von Schildkröten haben sich im Lauf der Evolution langsam, aber stetig weiterentwickelt. Anders als bislang angenommen, führte dies zu einer Vielzahl und Komplexität von Gehirnen, die mit denen anderer Tiergruppen vergleichbar sind: Zu diesem Schluss kommen Forscher aus Großbritannien, Brasilien und Deutschland in einer Studie, in der sie mit modernen Computeranalysen die Veränderungen der Schildkrötengehirne im Lauf der letzten 210 Millionen Jahre untersuchten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution veröffentlicht.

 

Schildkröten sind eine der ältesten heute noch lebenden Wirbeltiergruppen. Obwohl ihre Ursprünge bis zu 250 Millionen Jahre zurückdatieren, haben sie sich seitdem äußerlich kaum verändert. Fast alle fossilen Schildkröten ähnelten den heutigen modernen Schildkröten. Diese anatomische Konstanz trug womöglich dazu bei, dass sie mehrfache Aussterbe-Ereignisse der Erdgeschichte überlebten.

 

Dr. Ingmar Werneburg vom Senckenberg Center of Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen war Leiter der Studie, die sich auf die Untersuchung von Proganochelys quenstedti konzentrierte. Die älteste Schildkröte mit einem vollständigen Panzer wurde in 210 Millionen Jahre alten triassischen Sedimenten in Deutschland gefunden. Anhand von Computertomografie-Aufnahmen zweier fossiler Schädel rekonstruierten die Wissenschaftler digitale Modelle des Gehirns von Proganochelys und verglichen diese mit Gehirnmodellen moderner Schildkröten.

 

„Unsere Resultate zeigen, dass Proganochelys, die älteste Schildkröte mit einem echten Panzer, eine sehr einfache Gehirnstruktur aufwies“, sagt Erstautor Dr. Stephan Lautenschlager von der Universität Birmingham. „Sehsinn und Gehör waren wahrscheinlich nicht besonders gut ausgebildet, während der Geruchssinn relativ gut entwickelt war.“ Weitere Resultate der Studie zeigten, dass das Schildkrötengehirn in Bezug auf seine Größe und Komplexität im Laufe der Evolution bis hin zu den modernen Schildkröten zunahm. Moderne Arten zeigen eine weite Spanne an Gehirnformen und -größen, was die vielfältigen Ausprägungen ihrer Sinnesorgane spiegelt.

 

Ingmar Werneburg ergänzt: „Über einen Zeitraum von über 200 Millionen Jahren stieg die Komplexität der Schildkrötengehirne, wodurch es den Tieren möglich war, sich an verschiedene Umgebungen und Lebensbedingungen anzupassen. Das ist insofern wichtig, als dass wir ähnliche Diversifizierungen auch bei anderen Tiergruppen wie Säugetieren und Vögeln vorfinden.“

 

„Durch den Vergleich der digitalen Gehirnrekonstruktionen mit denen moderner Schildkröten konnten wir zeigen, dass die ersten Schildkröten mit vollständigem Panzer sehr wahrscheinlich an Land, aber nicht grabend oder im Wasser lebten“, sagt Gabriel Ferreira von der Universität São Paolo in Brasilien, ein weiterer Co-Autor der Studie. „Erst später in der Evolution eroberten sie verschiedene Habitate.“

Publikation:

Stephan Lautenschlager, Gabriel S. Ferreira und Ingmar Werneburg: Sensory evolution and ecology of early turtles revealed by digital endocranial reconstructions”, Frontiers in Ecology and Evolution, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fevo.2018.00007/abstract

Kontakt:

Dr. Ingmar Werneburg
Universität Tübingen
Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP)
ingmar.werneburg[at]senckenberg.de

 

Dr. Stephan Lautenschlager
University of Birmingham, England                         
s.lautenschlager[at]bham.ac.uk

 

Gabriel Ferreira
Universität São Paolo, Brasilien
gsferreirabio[at]gmail.com

 

 

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Alzheimer-Forschung an Mäusen: Wie es zur krankhaft gesteigerten Hirnaktivität kommt

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Die Alzheimer-Krankheit ist die wichtigste Ursache der Demenz bei älteren Patienten. Die Betroffenen entwickeln Defizite bei Fähigkeiten wie dem Lernen, dem vernunftgesteuerten Denken, der Kommunikation und haben zunehmende Schwierigkeiten, die Herausforderungen des täglichen Lebens zu meistern. Um die Alzheimer-Krankheit besser zu erforschen, setzen Wissenschaftler Mäuse ein, in deren Gehirn sich ähnlich wie bei Alzheimer-Patienten bestimmte Proteine ablagern und die an Gedächtnisverlust leiden. Vor einigen Jahren war es dem Forscherteam um Professorin Olga Garaschuk vom Institut für Physiologie der Universität Tübingen gelungen zu zeigen, dass die Krankheit bei solchen Mäusen mit einer auffällig gesteigerten Aktivität der Nervenzellen im Gehirn einhergeht. Ähnliche Befunde gab es von menschlichen Alzheimer-Patienten. Nun konnte Garaschuks Forscherteam einen wichtigen Mechanismus dieser neuronalen Hyperaktivität bei Mäusen klären: An den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen kommt es zu einer Fehlfunktion der an der Signalweiterleitung beteiligten Kalziumspeicher. In der Folge werden zu viele Signalstoffe in die Großhirnrinde freigesetzt. Die Studie, die in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, zeigt, wie sich aus den neuen Erkenntnissen Therapieansätze vor allem für die genetisch bedingte familiäre Alzheimer-Krankheit ergeben.

 

Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn läuft großteils über elektrische Signale. Doch an der Synapse, dem Übergang von einer Nervenzelle auf die folgende, wird am Spalt auf chemische Signale umgeschaltet. Kalzium spielt dabei eine wichtige Rolle, es wirkt mit bei der Freisetzung von Botenstoffen, den Neurotransmittern. Die docken an die nachgeschaltete Nervenzelle an, in der wieder ein elektrischer Impuls ausgelöst und weitergeleitet wird. In der neuen Studie stellte Garaschuk fest, dass bei Mäusen mit krankhaft gesteigerter Aktivität der Nervenzellen im Gehirn die Kalziumspeicher in der Zelle vor dem synaptischen Spalt fehlreguliert sind. „Dadurch wird eine größere Menge an Neurotransmittern in der Großhirnrinde freigesetzt, was zur Hyperaktivität der Nervenzellen führt“, sagt die Wissenschaftlerin.

 

Alzheimer tritt beim Menschen meistens sporadisch auf, größter Risikofaktor ist ein steigendes Lebensalter. Bei einem Teil der Erkrankten liegt jedoch auch eine erbliche Veranlagung für die Krankheit vor. Bei der familiären Alzheimer-Krankheit tragen 90 Prozent der Betroffenen eine Mutation im sogenannten Presenilin-Gen. „Interessanterweise reicht bei der Maus eine einzige Kopie eines solchen mutierten Gens aus, um die durch die Kalziumspeicher vermittelte neuronale Hyperaktivität hervorzurufen“, berichtet Garaschuk. Wirkstoffe, welche die Kalziumspeicher in der Zelle entleeren oder, wie ein zugelassenes Medikament es tut, die Freisetzung von Kalzium aus dem Speicher blockieren, unterdrücken die krankhafte Hyperaktivität. „Dadurch normalisiert sich die Funktion der Großhirnrinde“, sagt die Wissenschaftlerin. Diese Ergebnisse könnten in die Etablierung neuer Therapieansätze bei Alzheimer-Medikamenten einfließen.

Publikation:

Chommanad Lerdkrai, Nithi Asavapanumas, Bianca Brawek, Yury Kovalchuk, Nima Mojtahedi, Maria Olmedillas del Moral, and Olga Garaschuk: Intracellular Ca2+ stores control in vivo neuronal hyperactivity in a mouse model of Alzheimer’s disease. PNAS, DOI 10.1073/pnas.1714409115

Kontakt:

Prof. Dr. Olga Garaschuk
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olga.garaschuk[at]uni-tuebingen.de

 

 

 

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